#CharakterofSeptember – Vergangenheit & Zukunft

#CharakterofSeptember Jonas Brand Interview Sternenbrand

Hier ist der letzte Teil des exklusiven Interviews, das Beyza Vannier von den Dhirchat News mit Jonas Brand, Raumschiffkapitän der Keora (und Protagonist aus Blind), im Rahmen von #CharakterofSeptember führen darf. Während es im ersten Teil vor allem um Persönliches und im zweiten um das Soziale Umfeld ging, steht nun die Zukunft und die Vergangenheit im Mittelpunkt. Vielleicht entdeckt Jonas ja jetzt auch mal seine menschliche Seite – so er denn überhaupt eine hat *g*

Im Interview: Jonas Brand

Beyza Vannier: Wir haben ja nun schon einiges über deine Eltern und deine Kindheit in den zivilen Gebieten gehört. Alles in allem, würdest du sagen, du hattest eine glückliche Kindheit?

Jonas Brand: Auf jeden Fall! Bis meine Mutter gestorben ist – damals war ich 16 –, war alles großartig. Selbst Arams Leukämie-Diagnose hatte sich nicht wie ein Ende von etwas angefühlt, sondern mehr wie ein Hindernis, nicht mehr als ein Stolpern bei einem langen Lauf. Wir waren doch unsterblich! Und dann starb sie, und ich wurde erwachsen.

Beyza: Schon verstanden, wir reden besser nicht mehr über deine Familie.

Jonas: Das alles ist Jahrzehnte her. Auch wenn es sich anders anhören mag: Es tut nicht mehr weh. Es ist eben, wie es ist. Ich akzeptiere den Tod als untrennbaren Teil des Lebens. Und auch, wenn sich anfangs anders anfühlen mag, darinnen liegt nichts Gemeines: Der Tod ist neutral.

Beyza: Im Gegensatz zu Personen, was? Ich verstehe, was du sagen willst. Aber wenn wir schon bei Gemeinheiten sind: Was ist das Gemeinste, das du je zu jemandem gesagt hast.

Jonas: Das ist schwer zu sagen, schließlich kommt es dabei auf den Standpunkt an. Etwas, das ich als gemein empfinde, muss beim anderen nicht unbedingt so ankommen – und ihn kann hingegen etwas kränken, was ich nur unbedarft dahergeplaudert habe. Aber, ich glaube, da gibt es einen Satz, bei dem Botschaft und Intention überein gestimmt haben: „Ich lutsche Schwänze!“ zu meinem Vater. Nie habe ich einen Menschen je wieder nur wegen ein paar Worten so ausrasten gesehen.

Beyza: Wow. Ich meine, das ist natürlich nicht gerade die tollste Wortwohl und ich würde gegenüber meinen Eltern nicht so ins Detail gehen, was meine Vorlieben angeht, aber an sich das ja nichts Schlimmes – und nichts, was ein Großteil der Bevölkerung nicht schon gemacht hätte.

Jonas: Tja, Stormcoast hat das anders gesehen. Und auch wenn mein Vater selbstgewählt ein Ziviler war, weil er fürs Militärsleben viel zu aufsässig war – die Moral und falschen Vorstellungen von Ehre hatte er dennoch verinnerlicht. Als Allianzerin kannst du es dir vielleicht nicht vorstellen – immerhin ist bei euch die ghitanische Vier-Ehe ganz normal –, aber für meinen Vater war es einfacher zu ertragen, dass sein Sohn unheilbar krank statt schwul war.

Beyza: Ganz ehrlich: Ich bin froh, dass ich auf Dhirchat und nicht auf Stormcoast geboren wurde. Als ich das erste Mal verliebt war, war das größte Problem, wie ich nach unserem ersten Kuss den Kitilkaschleim aus meinem Shirt bekomme. Dein erster Kuss dürfte da weitaus problematischer verlaufen sein, oder?

Jonas: Überhaupt nicht, denn den hatte ich mit Maryam. (lacht) Nein, wirklich! Wir hatten uns auf Anhieb einfach blind verstanden – und da wir beide 14 waren, dachten wir, dass es eben Liebe wäre. Irgendwie war es da ja auch, nur ganz anders, fast schon metaphysisch … Aber es brauchte ein paar Monate – und ihren Cousin –, um das zu merken.

Beyza: Das klingt nach ein paar gebrochenen Herzen, die du hinterlassen hast. Was war das Schrecklichste, das du jemandem angetan hast, den du liebtest?

Jonas: Ich dachte, wir wollten nicht mehr über meine Familie reden?

Beyza: Und außerhalb deiner Familie gab es da niemanden, den du geliebt hast?

Jonas: Ich verliebe mich nur in Männer und Stormcoast bestraft das. Wie sollte sich da so etwas wie Liebe entwickeln, wenn man zumindest rudimentär an seiner Freiheit hängt? Also nein, außerhalb von längeren Affären gab es da niemanden, das war mir einfach zu gefährlich. Aber vielleicht ist auch gerade das eine Antwort auf deine Frage: Ich habe Männern, die es durchaus wert waren, eine tiefgründigere Beziehung zu wagen, das Herz gebrochen und sie von mir gestoßen, weil ich feige war. Zumindest das wird mir heute nie wieder passieren.

Beyza: Weil sich die Allianz nicht in dein Liebesleben einmischt?

Jonas: Weil ich nie wieder jemandem gestatten werde, sich da einzumischen.

Beyza: Ein guter Standpunkt. Ich gebe zu, die meisten von uns machen sich keine Gedanken darüber, wie es für die Menschen auf Stormcoast gewesen muss, so abgeschottet aufzuwachsen, so bewacht, kontrolliert und unfrei. Wir haben die Wiederentdeckung einer verschollenen Kolonie gefeiert und darüber hinweggesehen, zu was wir in der Lage sind, uns zu entwickeln, wir alle. Ich glaube, jeder der dort aufwächst, tut Dinge, auf die er im Nachhinein nicht stolz ist, um zu überleben, oder? Wofür schämst du dich am meisten, wenn du an die Vergangenheit denkst?

Jonas: Schwer zu sagen, denn an sich hatte ich Glück. Ich habe niemanden auf Stormcoast geopfert, um mich selbst zu retten. Allerdings nicht, weil ich so einen edlen Charakter habe, sondern weil es nicht notwendig war. Es hat zwar natürlich ein paar Gelegenheiten gegeben, einen Fremden zu verraten, um einfach aus einer Situation herauszukommen – aber ich war noch nie der Typ Mensch, der einfache Wege bevorzugt. Ganz im Gegenteil: Sie langweilen mich. Deshalb kann ich nach der all Zeit immer noch in den Spiegel sehen, ohne in Selbsthass zu vergehen.

Beyza: Du bereust also gar nichts? Würdest nichts heute anders machen?

Jonas: Das natürlich schon, aber es gibt da nichts Gewaltiges, kein düsteres Geheimnis, das mich innerlich zerfrisst. Aber da das hier nicht die Antwort ist, die hören willst, gebe ich dir eben eine: Ich schäme mich, dass ich Marek nicht geküsst habe, bevor er starb. Er gehörte zu meinem Befreiungstrupp auf dem Piratenraumschiff, das Stormcoast angegriffen hat – und war ein gelegentlicher Liebhaber. Er wurde tödlich verwundet und starb in meinen Armen. Ich merkte, dass er mir einen letzten Kuss geben wollte und doch zu kraftlos war, um es selbst zu tun. Ich merkte das – und tat nichts. Weil die andern bei uns standen und ich nicht wollte, dass es einer mitbekommt, dass ich … schwul bin. (lächelt) Es fühlt sich immer noch seltsam an, es einfach zu sagen … als würde ich etwas Verbotenes tun, ein unbewachtes Kom stehlen. (schüttelt sich) Egal. Das war feige von mir und ich wünschte, ich hätte ihm diesen Wunsch gewährt. Damals hatte ich nur im Sinn, dass ich schließlich mit diesem offenen Geheimnis hätte weiterleben müssen, während er Sternenstaub wurde und endlich frei war.

Beyza: Eine schwere Situation. Ich glaube, da lässt sich von außen auch schwer drüber urteilen. Dann frage ich mal nach etwas angenehmeren: Auf was bist du stolz, wenn du an die Vergangenheit denkst?

Jonas: Ihnen nie geglaubt zu haben.

Beyza: Kannst du erklären, was du damit meinst?

Jonas: Die Generalität auf Stormcoast war sehr aktiv bei ihrer Propaganda: Wir sind die letzten überlebenden Menschen, wer unschuldig ist, hat nichts zu verbergen, wer keine Arbeit hat, ist faul, Homosexualität ist heilbar … Ich habe ihnen nie geglaubt. Denn wer einmal lügt, lügt immer wieder. Und ich wusste, dass ich nicht geheilt werden konnte – weil es da nichts gab, dass geheilt werden musste.

Beyza: Und wie recht du damit hattest! Danke, dass du diese sehr persönlichen Dinge mit uns teilst. Darf ich noch einmal etwas persönlicher werden? Wann hast du das letzte Mal geweint?

Jonas: Ich glaube so langsam, du nutzt meine Gutmütigkeit aus …

Beyza: Das würde ich nie! Aber versuchen kann man es ja mal.

Jonas: (lacht) Dann will ich mal nicht so sein und dir antworten: bei Arams Tod. Aber es hat meinen kleinen Bruder nicht wieder lebendig gemacht, also hab ich es danach gelassen. Es bringt nichts.

Beyza: Wow, bei dir klingt das so nebensächlich einfach, als hättest du dir abgewöhnt, beim Nachdenken ständig an Stiften zu knabbern. Gibt es eine schlechte Eigenschaft, die du noch nicht losgeworden bist?

Jonas: Ich glaube, manchmal wäre es ganz praktisch, nicht alles immer zu überdenken, mehr aus dem Bauch heraus zu handeln. Das würde das Leben einfacher machen … Aber machen schon zu viele und irgendwer muss nun einmal den Überblick behalten.

Beyza: Dann danke ich dir, dass du dich für uns Impulsive opferst. Und ich danke sehr für dieses persönliche und ehrliche Interview, denn wir sind am Ende angelangt. Zum Schluss noch ein kurzer Ausblick in die Zukunft: Was sind deine Ziele im Leben? Wofür kämpfst du?

Jonas: Vor 150 Jahren stürzten die Phantome die Galaxis in einen Krieg, den wir nur knapp und mit hohen Verlust überlebt haben. Sie sind schuld, dass Stormcoast verlorenging, wir den Kontakt zum Rest verloren. Ohne die Phantome hätte dieses Regime und diese Unterdrückung der Bevölkerung nie gegeben – und noch immer wissen wir nicht, wer die Phantome eigentlich waren und was sie wollten. Sie haben so viel Tod über uns gebracht und auch darüber hinaus über Generationen Leben zerstört – ich will sie finden und es ihnen heimzahlen.

Beyza: Das ist mal eine Ansage. Lieber Jonas, ich danke dir für das Gespräch.

Die anderen Interview-Teile

Teil 1: Persönliches

Teil 2: Soziales Umfeld

Author: Annette Juretzki

Autorin von Fantasy, Scifi & Unfug. Lektorin, Korrektorin & sonstige Besserwisserin. An sich ein netter Mensch, wenn man sie nicht näher kennt.

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