Wie in Handwerkskunst bereits geschrieben, überarbeite ich gerade meine alten Geschichten. Die ursprüngliche Version dieser Erzählung schrieb ich mit 15 Jahren, was ich wohl als Entschuldigung benutze, dass die Urfassung eine reine Splatter-Orgie war. Nichtsdestotrotz gelang es mir, den Plot unter all den Litern Blut zu entdecken, einmal ordentlich abzuwaschen und ihm was Schickes anzuziehen. Es ändert nichts an der Brutalität innerhalb dieser Kurzgeschichte, aber sie erscheint mir nun weniger sinnlos.
Insgesamt könnt ihr euch auf 3 Teile freuen – aber fragt nicht, wann die anderen beiden gepostet werden 😉
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Das letzte Ritual
(2000/2014)
Keuchend drückte Oclan sich wieder hoch, die Arme zitterten, drohten seinem Gewicht nachzugeben. Schweißperlen rannen über die Stirn, mischten sich mit Staub und verklebten seine Augen. Das war das Ende; sein pochendes Herz drohte die Rippen zu sprengen, seine Lunge zu zermalmen – er rang wild nach Luft und konnte doch kaum atmen. Sein Leib wusste, es war das Ende, ein Magier war einfach nicht zum Klettern geboren. Aber sein Wille ließ sich nicht überzeugen.
Oclan blickte von seinem Felsvorsprung herab in die Tiefe. Höhenangst pirschte sich an ihn heran, doch der Stolz vertrieb sie rasch. Er hatte diese gewaltige Höhe in nur drei Tagen erklommen – der Berg sollte vor ihm niederknien und um Gnade winseln, sich fürchten vor dem Tag, an dem er beschließen würde, dieses ganze verdammte Gebirge zu unterwerfen!
Die Beine wollten einfach nicht mehr, knickten ein. Oclan riss die Augen auf, der Atem stockte. Er schwankte, fuchtelte mit den Armen, jeder Herzschlag war zähe Pein, bis sein Körper endlich wieder gehorchte und er sich auf den Rücken plumpsen ließ, den grauen Himmel über sich.
Dort oben war sein Ziel; denn konnte man den Legenden glauben schenken, durchzogen sich Ech’yren-ses Höhlen durch den Gipfel von Tastruns Berg. Noch mindestens drei Tage Kletterei … und wenn Legenden zu Märchen verkämen, bliebe keine Zeit für einen neuen Plan – der ihm ohnehin nicht rechtzeitig einfallen würde. Zwei Tote hatte man bereits gefunden, geopfert für das Undenkbare: Die fünf Rituale von Sheneq würden bald vollzogen sein.
Und wenn er die Zeichen falsch gedeutet hatte, wenn die anderen Recht behielten? Er lag hier ausgemergelt auf einem Felsvorsprung, würde sich bis zum letzten Atemzug verausgaben, um sich der Welt zum Gespött zu machen! Wahrscheinlich war selbst Ech’yren-se nur ein dummes Kindermärchen!
Er blickte die Felswand hinauf, die nächste Hürde auf seinem Weg zum Gipfel. Oclan seufzte, richtete sich wieder auf und griff zwei lose Steine, um sie an den Fels zu pressen. Die Brocken glühten kurz auf, bevor sie in die Wand schmolzen. Stolz betrachtete er sein Werk, sein Wille würde seinem Leib schon zeigen, wie man einen Berg erklomm.
Auf dem letzten Felsvorsprung brach Oclan wieder zusammen. Sein Herz raste, als müsste es noch an diesem Tag – nein, noch in diesem Moment! – die Welt umrunden. Schwer zu sagen, wie lange er dort keuchend lag, bis er sich wieder in der Lage wähnte, sich langsam zu erheben.
Der Eingang vor ihm war gigantisch, erhob sich über 5 Meter in die Höhe. Oclan hatte wahrhaftig sein Ziel erreicht. Die Knie wurden weich, der Schädel dumpf. Die Legenden waren wahr … Dieses eine Mal waren die anderen die Idioten!
Mit einem kleinen Zauber reinigte der Magier seine Kleider, denn einem Drachen trat man würdevoll entgegen. Vor allem dem Letzten. Oclans Beine mussten ihn nur wenige Schritte weit tragen und auch der Lichtzauber, der die linke Handfläche zum Glühen brachte, war vergeblich Mühe gewesen. Als zwei gewaltige Augen gelb aufleuchteten, stand er noch immer im Lichtkegel der untergehenden Sonne und kam sich winzig vor. Ein Zittern fuhr ihm durch die Glieder, doch schritt er noch etwas tiefer hinein. Ein Magier kannte keine Furcht, so wussten es die Legenden. Und selbst wenn: Eine andere Wahl blieb ihm doch nicht.
Mit einem Mal war Oclan in stinkende Luft gehüllt, die heiß an seiner Haut zu kleben schien. Schnell kam der Schwindel wieder, Übelkeit kroch seinen Hals empor – doch er blieb standhaft, widerstand sogar dem Würgen.
„Seid Ihr … Ech’yren-se?“, stotterte er und hoffte dabei, beeindruckender zu erscheinen, als er klang.
„Du kletterst diesen Berg hoch, um zu fragen, was du schon weißt?“ Die Stimme glich einem Brüllen; wie ein kehliges Schmatzen, das an den Wänden abprallte und von allen Seiten auf Oclan zuraste, als könnte ihn purer Klang zermalmen. Und außerdem fühlte er sich nun nicht bloß winzig, sondern vor allem unsagbar dumm – wie einer dieser nichtsnutzigen, unmagischen Menschen.
„Dann wisst Ihr auch, weshalb ich komme?“ Dieser ängstliche Unterton war von wahrhaft garstiger Natur, wollte er sich doch einfach nicht abschütteln lassen.
„Kann ich hellsehen?“ Der Drache schnaubte empört und schoss eine Feuerlanze nur knapp an Oclan vorbei. Er kniff die schmerzenden Augen zusammen, so hell und grell war die Höhle nun geworden. Rings um ihn waren Feuerschalen entzündet und die Flammen spiegelte sich in den Goldschätzen, die überall verstreut lagen. Ihr Wert musste gewaltig sein, doch deshalb war er nicht erschienen. Er nahm den Arm, den er schützend vor seine Augen gelegt hatte, wieder runter.
„Habt Ihr nichts von Aktruz gehört?“ Es galt, das Ziel nicht aus den schmerzenden Augen zu verlieren.
„Aktruz? Was soll mit dem sein? Er schmort für alle Zeiten im ewiglichen Feuer seines Reiches.“ Ech’yren-se gähnte gelangweilt. Die stinkende Luft um Oclan wurde zäher und brachte ihm fiebrige Schauer.
„Er ist befreit!“ Oclan lächelte, die Furcht war fort. Dieser Drache hatte Äonen erlebt, Völker aufsteigen und wieder fallen gesehen und doch hatte er, Oclan, ihm ein kleines Stückchen Wissen voraus.
„Aktruz ist befreit? Wer wagte dies? Oh ihr Magier, Sklavenrasse der Dämonenmeister, was habt ihr da nur getan? Dies werdet ihr büßen, ihr schauderhaften Kreaturen! Ihr wolltet mit Flammen spielen und winselt nun zum Himmel, er möge Regen schicken, weil ihr droht, in eurer Dummheit zu verbrennen. Ich werde euch Feuer zeigen!“
Oclans Knie zitterten, er wich vorsichtig ein paar Schritte zurück. Die Nüstern des Drachen vibrierten als er die Luft einsog. Und dann kam die Hitze. Die Haut zerriss, sein Blut war ein Lavafluss, der in die Freiheit quoll. Oclan schrie oder glaubte zu schreien. Es war nicht mehr wichtig, alles war nur noch Schmerz. Und dann war nichts mehr.
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