Weiter geht es mit dem exklusiven Interview, das Beyza Vannier von den Dhirchat News mit Jonas Brand, Raumschiffkapitän der Keora (und Protagonist aus Blind), im Rahmen von #CharakterofSeptember führen darf. Während es im ersten Teil vor allem um Persönliches ging, steht nun das soziale Umfeld im Mittelpunkt. Mal sehen, ob Jonas dabei etwas gesprächiger ist 😉
Im Interview: Jonas Brand
Beyza Vannier: Reden wir nun etwas über dein Umfeld, denn nichts prägt uns so sehr, wie die Personen um uns herum. Du stammst ja von Stormcoast, das etwas anders ist als die üblichen Allianz-Kolonien. In welcher Gesellschaft bist du dort großgeworden?
Jonas Brand: Stormcoast ist sehr militärisch geprägt, einige bezeichnen es sogar als Militärdiktatur, was ich dann doch reichlich übertrieben finde. Allerdings wird die Gesellschaft in zwei Schichten geteilt: Soldaten und Zivilisten. Und ich bin irgendwo dazwischen aufgewachsen.
Meine Mutter war Soldatin, Kampfpilotin um genau zu sein, und mein Vater war Musiker. Da er sich in den straff organisierten Wohnvierteln im Militärbereich einfach nicht wohlfühlte, zogen meine Eltern in den Zivilbereich, obwohl die Infrastruktur dort wesentlich schlechter war. Ich ging sogar auf eine Zivilistenschule und hatte fast nur zivile Freunde. Das Militär kannte ich nur durch die Erzählungen meiner Mutter, bis ich mich mit 16 verpflichtet habe. Der erste Schock war da stark, die zivilen Gebiete sind wesentlicher freier, haben weniger Gesetze, dafür aber auch weniger Rechte. Aber man gewöhnt sich an alles mit der Zeit.
Beyza: Und wie groß ist deine Familie?
Jonas: Im Moment? Da gibt es nur noch mich. Meine Eltern sind beide verstorben, ebenso mein kleiner Bruder; Leukämie. Auf Stormcoast war das nicht heilbar … Wir kehrten ein paar Jahre zu spät zur Allianz zurück.
Beyza; Das tut mir leid.
Jonas: Schon in Ordnung, schließlich ist nichts davon deine Schuld.
Beyza: Natürlich, nur … trotzdem. Familie scheint dir viel bedeutet zu haben.
Jonas: Mein Bruder hat mir etwas bedeutet, meine Mutter ebenso und mein Vater … war eine lehrreiche Lektion. Aber das hatte nichts damit zu tun, dass ich ihnen genetisch näher als anderen Menschen war, sondern allein damit, dass sie individuell betrachtet Personen waren, bei denen ich froh bin, sie gekannt zu haben. Das gilt sogar für meinen Vater, auch wenn er letztendlich lieber Alkoholiker als Vater gewesen ist.
Beyza: Sowas ist immer hart. Also hast du als Kind nur eine Beziehung zu deiner Mutter aufbauen können?
Jonas: Ich hatte eine großartige Kindheit. Mein Vater hatte es erst vermasselt, nachdem meine Mutter gestorben ist. Und als dann auch noch mein Bruder starb … das war zu viel für ihn. Aber bis dahin hatte ich einen eigensinnigen, etwas verrückten Vater gehabt, der sich von nichts und niemandem in sein Leben reinreden lassen wollte. Dadurch war er mehr Freund als Erziehungsberechtigter gewesen, aber das ist für ein Kind kein Nachteil. Für alles Ernste war meine Mutter dagewesen – und anders hätte sie es auch gar nicht gewollt. Sie hatte manchmal ein kleines Kontrollproblem und tat sich schwer, Verantwortung abzugeben. Vielleicht haben die beiden gerade wegen ihrer Unterschiede zueinandergefunden.
Beyza: Bei dem, was du erzählt hast, ist es schwer, an eine großartige Kindheit zu glauben. Aber du kannst uns gern davon überzeugen: Was ist deine glücklichste Kindheitserinnerung?
Jonas: Das ist eine verdammt schwere Frage. Meine Kindheit ist schon ein paar Jahrzehnte her und für gewöhnlich sortiert man seine Erinnerungen nicht nach Relevanz oder Zufriedenheit. Das würde auch gar keinen Sinn ergeben, schließlich sind unsere Erinnerungen nur für eine kurze Zeit authentisch. Danach werden sie zu Interpretationen, zu unserer nachträglichen Vorstellung davon, was sich wohl einst zugetragen hat …
Beyza: Du lenkst ab.
Jonas: (lacht) Zu meiner Verteidigung: Ich rede, um Zeit zum Nachdenken zu generieren. Aber gut, ich weiß zwar nicht, ob diese Erinnerung eine objektive Rangliste meiner Kindheitserlebnisse anführen würde, aber ich denke gern an meinen ersten Schultag zurück. Ich hatte die Einstellungstests für die wichtigste Militärschule bestanden, aber ich lebte im zivilen Gebiet und wollte bei meinen Freunden bleiben. Es gab wochenlang Streit mit meiner Mutter, die natürlich meine Zukunftschancen im Blick hatte und wusste, wenn ich diese Militärschule abschieße, dann ist mir ein späterer Platz in der Generalität so gut wie sicher. Aber ich war ein Kind und mir war doch egal, was irgendwann sein würde, ich wollte jetzt mit meinen Freunden spielen.
Als wir an meinem ersten Schultag also losfuhren, drohte ich ihr alles mögliche an, was ich in dieser Schule anrichten würde, damit sie mich rauswerfen. Den ganzen Weg über habe ich ihr erzählt, wie ich das Gebäude sprengen, auf die Rektorin schießen, meine Mitschüler mit Farbe übergießen würde, nur damit ich auf die zivile Schule in unserem lausigen Wohnviertel gehen konnte, wie alle anderen. Und dann kamen wir an, an dieser zivilen Schule in unserem lausigen Viertel, und meine Mutter sagte, dass eines Tages, in vielen Jahren, der Moment käme, an dem ich die Entscheidung für diese Schule sehr bereuen würde. Und wenn er da wäre, dann solle ich an das Gesicht der Rektorin denken, als sie ihr sagte, sie habe sich gegen diese herausragende Militärschule entschieden, da es etwas Wichtigeres als die besten Karrierechancen für ihren Sohn gäbe: eine glückliche Kindheit.
Beyza: Wow, deine Mutter scheint ein echt toller Mensch gewesen zu sein.
Jonas: Das war sie, in der Tat. Ich bin mir sicher, eines Tages werden sich ihre freigewordenen Moleküle zu etwas Großartigem zusammenformen. Vielleicht eine neue Galaxie … Brandis wäre kein schlechter Name dafür, oder?
Beyza: Doch, hat was. Ihr Tod hat sicher eine große Lücke in deinem Leben hinterlassen, gibt es einen Freund oder eine Freundin, die diese ausgefüllt hat?
Jonas: Hm. Natürlich habe ich Freunde, schließlich ist es nicht schwer, Menschen von sich zu überzeugen. Das kann fast jeder. Aber ob mir jemand wirklich nahe steht … es gab da eine Frau auf Stormcoast, Maryam. Sie schaffte es stets, dass ich besser sein wollte, als ich war. Ich war Glas unter ihren Blicken, konnte ihr nie etwas vormachen. Durch sie habe ich meine Ex-Frau kennengelernt – oder viel mehr: für sie. Maryam war zum selben Versteckspiel gezwungen, wie ich es war. Stormcoast findet nämlich, dass die Galaxis von der Menschheit bevölkert sein sollte und das geht schlecht, wenn Männlein und Weiblein kein Interesse an einem gemeinsamen Sexualakt haben. Außerdem wäre alles andere unrein, würde die Moral gefährden und weiterer Unsinn. Eine Ehe war da eine perfekte Tarnung, aber da Maryam eine Zivile war, habe ich eben ihre Freundin geheiratet. Bei einer Hochzeit unter Soldaten gab es für die Generalität keinen Grund, genauer hinzusehen … Aber wir reden über Maryam, nicht über Leesha. (atmet tief durch) Vermutlich war Maryam der intelligenteste Mensch, der je auf Stormcoast gelebt hat. Aber auch sie ist tot. So langsam beginne ich zu glauben, was Zwischenmenschliches angeht, bin ich verflucht. (lacht)
Beyza: (lacht) Nun, das ist wohl doch etwas übertrieben, oder? Ich meine, du hast doch auch noch ein paar lebendige Freunde, oder?
Jonas: Noch. (grinst) Mit Leesha verstehe ich mich noch immer recht gut und dann gibt es da noch Tina. Unsere Freundschaft ist … professionell. Wir respektieren einander, ich würde niemandem lieber mein Leben anvertrauen als ihr. Und das hat nur zum Teil damit zu tun, dass ich noch keine bessere Schützin als sie getroffen habe.
Beyza: Interessante Eigenschaft, auf die du da bei deiner Freundin Wert legst. Was ist dir außer dem Umgang mit einer Schusswaffe an deinen Freunden wichtig?
Jonas: Loyalität, Eigenverantwortlichkeit und Kompetenz in ihren Fachgebieten.
Beyza: Ich rede nicht über Angestellte.
Jonas: Ich auch nicht. Aber ich will mich auf meine Freunde verlassen können und dazu gehört nun einmal, dass sie mich nicht hintergehen, mich nicht um Kleinigkeiten bitten, die sie selbst erledigen können, und dass sie nicht in Schwierigkeiten geraten, weil sie an simplen Vorhaben scheitern. Versteh mich nicht falsch, ich habe nichts dagegen, mich für andere einzusetzen, aber doch nicht, weil jemand zu faul oder dumm ist, für sich selbst einzustehen.
Beyza: Menschen haben es wohl nicht leicht bei dir, erfüllt ein Haustier da vielleicht eher deine Anforderungen?
Jonas: Wieso sollte ich ein Tier halten, dessen einziger Nutzen seine Existenz ist? Ich meine, ich habe nichts gegen Tiere, ich bin keiner dieser Psychopathen, der als Kind mal ausprobieren wollte, wie es ist, etwas Unschuldiges zu töten. Seit ich Stormcoast verlassen habe, bin ich sogar zum Vegetarier geworden – gezwungenermaßen. Die Preise für echtes Fleisch sind mir schlicht zu hoch. Und ob mein Nährbrei mit Geschmacksverstärkern nun aus synthetischen Fleisch- oder Pflanzenfasern besteht, ist mir nun wirklich egal.
Also nein, ich halte keine Haustiere und glaube auch nicht, dass sich das je ändern wird. Aber ich sehe ein, dass das eine Entscheidung der individuellen Lebensführung ist und würde es niemals jemandem ausreden, solange es dem Tier dabei nicht schlechtgeht.