Okay, ja gut, es ist gerade ruhig hier. Richtig ruhig. Gerade zu Tumbleweed-still. Und ja, ich finde Ruhe und Stille auch ganz, ganz grässlich, deshalb erzähle ich euch schnell mal etwas, damit wir uns alle nicht zu sehr daran gewöhnen: Ich habe eine neue Kurzgeschichte geschrieben!
Na schön, streng genommen ist das nur die halbe Wahrheit, aber bevor die Erzählstimme herauspacke, hier die harten Fakten.
Queer*Welten 01-2020
Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Es ist gibt von nun an ein queer-feministisches Magazin rund ums Phantastische. Vierteljährlich erscheinen in der Queer*Welten Kurzgeschichten, Gedichte und Essays, herausgegeben wird sie von Judith Vogt, Kathrin Dodenhoeft und Lena Richter und sie erscheint im Ach je Verlag.
Ausgabe 1 bereits draußen – und meine Kurzgeschichte Nebelflor ist drin!
Korja kommt in ein Dorf, um es vor einem wütenden Geist zu schützen, doch die männlichen Dorfbewohner trauen einer Frau nicht. Die einzige Person, die ihr hilft, ist der Geliebte der Ermordeten. Eine traurig-düstere Geschichte über Liebe, Mord und Rache.
Außerdem noch in der Queer*Welten 01-2020 enthalten: Die Kurzgeschichten Feuer von Lena Richter und Die Heldenfresserin von Anna Zabini, dazu die Ballade Die fortgesetzten Abenteuer des Spaceschiffs Plastilon von Jasper Nicolaisen und der erste Teil des Essays Von Orks, Briten und dem Mythos der Kriegerrassen von James Mendez Hodes.
Die Reise war lang – und das zum Glück!
Korjas Reise mit Nebelflor ist tatsächlich etwas länger, denn sie begann nicht erst vor ein paar Wochen, sondern tatsächlich schon vor 5 Jahren. Damals hatte ich zum ersten Mal die Idee, eine Geschichte in der Du-Perspektive zu schreiben – und war dabei so motiviert, dass ich sogar über meine Erfahrungen gebloggt habe. Handwerklich hat sich innerhalb dieser Jahre auch tatsächlich nicht sonderlich viel an dieser Geschichte geändert, ich war damals mit meinem Stil zufrieden und bin es auch heute noch. Aber inhaltlich … verdammt, bin ich froh, dass Nebelflor mit mir reifen durfte!
Hier erstmal noch eine Warnung vorneweg: Ab jetzt geht es auch inhaltlich um die Geschichte, es folgen also durchaus mildere Spoiler. (Und okay, ganz streng genommen enthält der Blog-Artikel zur Du-Perspektive auch ganz leichte Spoiler, aber ich glaube, das merkt man erst, wenn man die Geschichte bereist kennt.)
Wer die Geschichte bereits gelesen hat, weiß, dass sie mit den Klischees spielt, die Männern und Frauen in typischen Fantasy-Geschichten zugeschrieben wird, nur dieses Mal anders herum: Korja ist der eher gefühlskalte „Held“, der einsame Wolf, der nicht recht aus sich herauskommt, die tragische Backstory mit sich trägt und Emotionen für Schwäche hält. Und mit dieser Rolle fühlt sie sich genauso deplatziert in ihrer Welt, wie ihre Welt nicht recht mit ihr umgehen kann. Sie „passt“ nicht.
Eine Geschichte, die ein Klischee vorführen möchte, darf dieses aber nicht gleichzeitig reproduzieren – und ja, selbst wenn man als Frau über Sexismus schreibt, ist es gar nicht so einfach, den selbst verinnerlichten Sexismus zu erkennen. Vor 5 Jahren war zumindest ich noch nicht so ausführlich dazu in der Lage, wie ich es heute bin.
Ein Beispiel gefällig? Vor 5 Jahren schrieb ich in Nebelflor:
„Wir wollten heiraten … Jeder hatte um ihre Hand angehalten, aber mich erwählte sie.“ Seine Augen begannen zu glänzen. Du fandest es befremdlich, dass er nicht versuchte, es zu verbergen. „In dieser Nacht wollte sie sich mir hingeben, aber ich entschied mich dagegen. Ich wollte sie zur Frau, nicht zur Geliebten. Also ließ ich eine Lilie an unserem Baum zurück, als Unterpfand meiner Liebe, statt Finna zu treffen. Am nächsten Morgen, als wir unsere Verlobung bekannt geben wollten, fanden wir sie tot.“
Erste Version von Nebelflor von 2015
Na, den Sexismus gefunden? Richtig: Eine Frau ist wertvoller, wenn sie „rein“ ist, eine Ehefrau ist eine erstrebenswertere Rolle in der Gesellschaft als eine Geliebte, und durch Sex wird sie für die Rolle der Ehefrau quasi „disqualifiziert“. (Warum der Text da noch im Präteritum und nicht im Präsens steht, erfahrt ihr übrigens hier.)
Natürlich ist das einzeln betrachtet eine Kleinigkeit, aber solche Kleinigkeiten schaffen es, eine Geschichte zu ruinieren. Denn das Zitat stammt von Garvir, der in Nebelflor quasi das Gegenteil von Toxizität ist: Er handelt bedacht, ist geduldig, hilfsbereit, zuvorkommend, akzeptiert Korjas Eigenheiten und versucht sie durch gutes Zureden und Rücken stärken von ihrer Negativität zu „heilen“ – ihr könnt euch sicher denken, wer in einer Geschichte normalerweise seine Rolle besetzt 😉
Fehlende Selbstreflektion
Und eigentlich sollte jetzt schon klar sein: So eine Sicht auf weibliche Reinheit, wie sie im ursprünglichen Zitat auftaucht, passt nicht zu Garvirs Figur. Nicht er redet dort, sondern die irdischen Vorurteile über Sexualität und Weiblichkeit, die ich als Autorin verinnerlicht habe. Dieser Dialog ist also out of character, wie man so schön im Rollenspiel sagt – und sowas ist in jeder Geschichte Mist.
Die Selbstreflektion der eigenen Vorurteile ist ein Handwerkszeug, das man als Schreibende nicht unterschätzen darf. Meine Figuren haben es verdient, dass ich sie selbst spreche lasse, anstatt ihnen Worte in den Mund zu legen, die mir als „Normalität“ beigebracht wurden. Und dieser Prozess braucht Zeit – und Wissen. Und gerade dieses Wissen hatte ich vor 5 Jahren noch nicht. Und zwar nicht etwa, weil ich damals nicht gewusst hätte, dass unsere Gesellschaft sexistisch wäre, sondern weil ich nicht gewusst habe, was ALLES im Grunde sexistisch ist. Denn es ist gar nicht so leicht, von selbst zu erkennen, wie viel Übliches eigentlich nicht üblich sein sollte.
Als ich zum ersten Mal eine Sexszene geschrieben habe, habe ich recherchiert, wie man über Erotik schreibt. Bei meiner ersten Kampfszene recherchierte ich, wie sich Dynamik am besten aufbaut. Also wieso recherchierte ich nicht über Sexismus, als ich über Sexismus schreiben wollte? Weil ich sehr naiv war und dachte, wenn ich das große Ganze erkenne, erkenne ich auch die Details.
Wissen entsteht nicht von selbst, man muss es suchen – und vor allem suchen wollen. Doch es lohnt sich: Denn Geschichten, in denen nicht stets dieselben irdischen Vorurteile wiedergekäut werden, verlieren nicht etwa ihren Charme oder werden gar zensiert, wie immer wieder gern mal behauptet wird, sondern ganz im Gegenteil: Sie werden besser, weil sie das schaffen, was Phantastik doch in seinem Grundstein schaffen will – sie führen in eine anderen Welt. Und außerdem haben solche Geschichten den Nebeneffekt, dass sich Lesende mit ihnen wohlerfühler, weil sie nicht ständig mit denselben Vorurteilen konfrontiert werden, die sie schon in unserer Realität echt nicht mehr ertragen können. Dichtere Immersion und glücklichere Lesende auf einen Schlag – was spricht noch einmal für unterschwelligen Sexismus?
Es braucht übrigens nicht viel, um aus einer unpassenden Textstelle eine passende zu machen. Eher selten bedeutet es, das ganze Textstellen umgeschrieben werden müssen, bei Garvir mussten nur zwei Sätze weichen:
„Wir wollten heiraten … Viele hatten um ihre Hand angehalten, aber mich erwählte sie.“ Seine Augen beginnen zu glänzen und du schaust an ihm vorbei, denn er verbirgt es nicht. „Diese Nacht hätte unsere erste sein sollen, aber ich war noch nicht bereit dazu. Also ließ ich eine Lilie an unserem Baum zurück, statt Finna zu treffen. Die Blüte als Unterpfand meiner Liebe. Am nächsten Morgen, als wir unsere Verlobung bekannt geben wollten, fanden wir sie tot.“
Nebelflor, Queer*Welten 01-2020
Wie heißt du nochmal?
Etwas anderes Gutes hatte die Reise übrigens auch noch: den Titel. Denn herrje habe ich mich dieses Mal damit schwergetan! Einen Titel finden rangiert bei mir auf der Beliebtheitsskala ohnehin nur knapp über Klappentext schreiben, aber hier … Alle Zwischentitel der letzten 5 Jahre krieg ich nicht mehr zusammen, aber zumindest die, die etwas länger im Textdokument standen:
Geisternebel, Geisterruf, Lilienblüten, Lilienfahl, Im Liliennebel, Winterfahl, Nebelfahl, Nebelblüten – und schließlich endlich Nebelflor.
Und nein, ich habe keine Ahnung, wie der Winter in diese Aufzählung reingerutscht ist oder was ich mir dabei gedacht habe *g*
Tl;dr
Also, hier nochmal die wichtigste Info auf einen Punkt: Holt euch die Queer*Welten, am besten im Abo!
Und ach ja, eine Kurzgeschichte von mir ist auch drin, und theoretisch gibt es sie auch einzeln als Download zu kaufen – aber ehrlich jetzt: Holt euch die gesamte Queer*Welten! Es lohnt sich!
Inhaltshinweise (Warum? Darum!)